Liebe Familie, Verwandte und Freunde,

der zweite Weihnachtstag beginnt und bevor das Jahr 2022 endet, möchte ich Euch gerne noch etwas mitteilen und loswerden, was mir auf der Seele brennt.

Ich bin schwul! 

Ja, ihr habt richtig gelesen, so ist es und zwar nicht erst seit gestern. Um jeglichen Tratsch, Flurfunk und eine negative Übertragungsexplosion zu minimieren, möchte ich das mit dieser Nachricht an diesen Kreis
kundtun. Wer sich als moderner Mensch im jetzigen Jahrhundert lebend bezeichnen möchte, weiß, dass Homosexualität weder eine Krankheit noch eine schlechte Angewohnheit ist, wie z. B. das Rauchen. Es ist eine Flamme, die sich immer wieder entfacht und nur wer auch solch eine Flamme in sich trägt, weiß, wovon ich spreche.

Ein guter Bekannter hat zu mir schon vor Jahren gesagt: „Werner, eines Tages wird es jemanden geben, der Dir ins Herz sticht und Dich damit aus Deiner Ecke holt und dann hast Du das Bedürfnis Dich zu outen und zu
befreien“. Das, meine Lieben, ist so eingetreten. Wir haben den gleichen gesundheitlichen Leidensweg durchgemacht und deshalb verstehen wir uns so unglaublich gut.

Danach war mir klar den ersten großen Schritt für mich machen zu müssen, erst bei meinen Söhnen und kurz darauf der zweite Schritt war es mich K. gegenüber zu outen.

Nach dem Gespräch mit meinen Söhnen haben mich beide in den Arm genommen und gesagt: “ Papa, schön das Du zu uns ehrlich bist und uns das anvertraut hast, egal was passiert, Du bleibst unser Papa“.

Das Gespräch mit K. nach ihrer Rückkehr von Rügen war emotionaler und komplizierter, ich musste mir unter anderem den Vorwurf gefallen lassen, warum erst jetzt und nicht schon früher??

Ihr habt ja alle recht, aber es gab bis jetzt keinen, der mir ins Herz gestochen hat und solange konnte ich die kleine Flamme einigermaßen unter Kontrolle halten. Durch meine Krebserkrankung hat jemand an meinen Lebensfäden gezogen und mein wirkliches Ich nach vorn geholt. Das möchte und kann ich auch nie wieder verstecken.
Deshalb bin ich jetzt beim Schritt drei und traue mich, es Euch zu sagen, denn zurzeit sind K. und ich wie in einem Strudel und brauchen wieder festen Boden unter den Füßen. Das geht am besten mit ehrlichen
und offenen Gesprächen.

Ich habe eine unheimlich starke Frau, mit der ich nun 40 Jahre durch dick und dünn gegangen bin und zwei tolle Söhne, Schwiegertöchter und ein Enkelkind, die mir den wichtigen ersten Halt gegeben haben. Ich
werde für Euch immer Dasein, egal was kommt. 
Es ist und wird nicht leicht in der nächsten Zeit, aber Veränderungen sind am Anfang hart, in der Mitte chaotisch und am Ende wunderbar.

Danke K. M.und P. dass ihr mich nicht verurteilt, sondern mir zur Seite steht.

Danke Elley und HaJo für Euer Verständnis.

Danke an die kleine Gruppe von Freunden, die noch weiter hinter mir stehen.

Danke an meine Selbsthilfegruppe, Uwe Berg und Samuel Coenigsberg, Autor aus Berlin, ihr habt mir bereits so viel helfen können.

Mama, es tut mir leid, dass ich nicht so bin wie Deine anderen Söhne. Mit Hatti hatte ich in unserer gemeinsamen Krankenhauszeit gesprochen. Er hatte mich einfach drauf angesprochen und mir telefonisch in den Hintern getreten, um mein wirkliches Ich herauszulassen. Zu der Zeit war das aber noch kein Thema und mir fehlte auch der Mut dazu.

Ein Mitglied aus der Selbsthilfegruppe sagte zu mir, es werden sich einige Menschen, die Du gut kennst, von Dir abwenden. Andere von denen Du es nicht erwartetest, kommen auf Dich zu, aber viele Menschen und
Freunde lernst Du neu kennen.

Ich habe bereits einen Korb mit Steine gefüllt, die ich auf den jetzigen Weg überwinden musste, ich hoffe, dass mir keiner an meinen Kopf geworfen wird.

Dass ich Euch das so direkt schreibe, habe ich einem guten Freund zu verdanken. Dem habe ich das am Heiligabend genau so gesagt, klar und deutlich. Wie jeder und jeder von Euch mit meiner neuen Situation
umgeht, das entscheidet Ihr selbst.

Auf die Frage, wie geht es weiter? Erst nur eine Antwort: wir werden unser Leben ohne Rosenkrieg neu sortieren.

Und noch eine große Bitte an alle, wenn es noch Fragen gibt, sprecht mich bitte direkt an und nicht K. oder unsere Jungs, denn gegenüber habe ich mich geoutet.

Danke, meine Lieben für das Zuhören, ich wünsche allen ein gesundes neues Jahr.

Euer neuer, alter Werner 🙋🏻‍♂️